Freya, Loki und Gandhi schlafen noch. Es ist fast zwei Jahre her, dass die drei Schweine bei uns eingezogen sind. Ich liebe sie von ganzem Herzen, so viel dürfte jedem klar sein. Also warum passiert es so häufig, dass ich rund um die Liebe, die ich für sie verspüre, immer wieder einen Drachen herumlaufen sehe?

Ein Drachen? Den gibt es doch nicht, werdet ihr jetzt sagen. Und würde der Drachen die Schweine nicht aufessen? Wenn es dieses mythologische Wesen gibt und die Geschichten stimmen, dann atmet der Drachen Feuer. Er ist eine Gefahr. Für die lieben Schweine, aber auch für den Schweinepapa.

Über die letzten 2 Jahre – noch bevor die drei Schweine eingezogen waren – lebte dieser Drachen von mir unbemerkt im Gehege der Schweine. Er war an dem Tag eingezogen, als ich ein kurzes Gespräch mit einer damals befreundeten Tierschützerin geführt hatte. Vollkommen unbemerkt und von mir in meiner Naivität absolut nicht wahrgenommen.

Seitdem stapfte er zwischen Kirschbaum, Apfelbaum und Stall hin und her. Er wurde von mir ignoriert und wuchs. Auch nachdem die Schweine eingezogen waren und ich eigentlich durch und durch hätte glücklich sein müssen.

Der Drachen zeigte seine Fratze nur ab und zu. Schlich sich bis in mein Büro, tippte Zeilen oder beeinflusste sie, ohne dass ich es mir bewusst war. Und heute ist der Tag, an dem ich ihm seine Macht nehme. Mich ihm stelle. Ihn nicht länger ignoriere oder ihn durch unbewusste Handlungen füttere.

Aber warum heißt mein Beitrag dann nicht „Jörg und der Drachen“? Warum Ringelschwanz? Weil der Drachen aus diesem für mich wunderschönen Aspekt der Hausschweine gewachsen ist. Um das verstehen zu können, muss ich etwas ausholen. Einen weiteren Drachen besuchen, den ich zwar längst besiegt habe, der aber eine große Rolle in der Geburt dieses Drachen spielte.

Ich muss zurückgehen in das Jahr 1997, in dem der andere Drachen geboren wurde. Sein Geburtsort war Negernbötel in Schleswig-Holstein. Ein Ort, den ich niemals vergessen werde.

Dieser Drachen wohnte in einer Schweinemast und Schweinezucht, die ich damals mit meinen Tierrechtsfreund:innen von Animal Peace in der Nacht aufgesucht hatte. Aber auch diesen Drachen habe ich damals nicht bemerkt, jahrzehntelang ignoriert, bis er so groß wurde, dass er mich mit Haut und Haar verschlungen hatte.

Als ich das erste Mal hautnah und zum Greifen nahe die Brutalität, Gewalt und Widerwärtigkeit der Massentierhaltung sehen musste, ist meine Seele in Milliarden Stücke zerbrochen. Ich war nur der „kleine Technik-Freak“, der für meinen Freund Stefan Bröckling das Licht gehalten hat, damit er Videoaufnahmen machen konnte.

Das Licht halten bedeutet: Ich bringe Licht ins Dunkel. Und muss dabei auch sehen. Die Augen öffnen. Was ich dabei gesehen hatte, ließ mich fortan nicht mehr los. Auch heute noch rinnen Tränen meine Wange herab, wenn ich an die Schweine von Negernbötel denke.

Meine eingesperrten und leidenden Freunde zu sehen, ihnen nicht helfen zu können, hat mich jahrzehntelang zerfressen. Wir haben in dieser Nacht zwei Ferkel gestohlen, denen ich Namen geben durfte. Aber das, was ich aus dieser Nacht mitnahm, war vor allen Dingen eines. Ein immenses Schuldgefühl, fast tausend andere Schweine ihrem Schicksal überlassen zu haben. Ich habe es vermieden, die Schweine anzufassen. Ich wusste instinktiv, dass ich noch in dieser Nacht wahnsinnig würde, wenn ich eine der Zuchtsauen in ihren Särgen anfassen würde. Anfassen, um sie zu trösten. Ihnen zu sagen: alles wird gut. Aber nichts wurde gut. Sie sind alle längst tot. Anstelle der Schweine nahm ich etwas anderes mit. Einen Drachen.

Diesen Drachen konfrontierte ich erst am Anfang des Jahres 2020. Als ich in der Therapie endlich den dunklen Raum in meinem Unterbewusstsein öffnete, in dem ich die Schweine so viele Jahre eingesperrt hatte. Im Raum selber sah ich nur ein einziges Schwein und besagten Drachen. Mein Schuldgefühl, das ich in meiner Therapie endlich bekämpfen wollte.

Nach meiner Rückkehr zu den Schweinen und den Schweineschutz wuchs in mir der Wunsch, wieder eigene Schweine zu haben. Eine Schweinefamilie. Und so ging ich in meiner ersten Gefühls-schwangeren Freude und Naivität sehr offen mit allem um. Schließlich war ich wieder „zurück“ wo ich sein wollte. Wollte mich wieder in die Gruppe der Schweineschützer:innen integrieren, die ich so viele Jahre lang nicht wahrgenommen hatte.

Es war in dieser Zeit, als ich nicht nur den Kontakt zu meiner lieben Freundin Sabine Duda wieder aufnahm, sondern auch zu meinem ehemaligen Verein – Schweinefreunde e. V.… Aber das ist eine andere Story und vielleicht ein anderer Drachen, den ich noch konfrontieren muss.

Wichtiger war jetzt, mein Leben wieder mit diesen wunderschönen Tieren – meinen Lieblingstieren – teilen zu können. Zu dürfen. Und so schmiedeten meine Frau Sabine und ich Pläne. Bereiteten den Hof vor und suchten dann endlich auch nach Bewohnern für unseren Hof.

Es war in dieser Phase und noch am Anfang meiner Therapie, dass mir bewusst wurde, warum ich in Negernbötel zerbrach. Und warum ich nun die Chance nutzen musste, endlich die Schweine zu bekommen, die ich seit so vielen Jahrzehnten hätte haben müssen: unversehrte Schweine, die der kleine Junge aus Siegen in seiner Kindheit schon immer haben wollte. Rosa Schweine, mit Schlappohren und mit einem Ringelschwanz.

Heute kann ich das in aller Stärke und mit einer entwaffnenden Offenheit sagen. Vor zwei Jahren ist mir das unerhört schwergefallen. Und es gab nur eine einzige fremde Person, der ich mich damals in aller Naivität offenbart habe.

Es war die Tierschützerin Sandra, mit der ich dieses besagte Telefonat führte, welches einen neuen Drachen in mein Leben zauberte. Und den ich mit diesen Zeilen jetz endgültig besiegen werde.

Sandra wollte am Anfang – so denke ich – nur behilflich sein. Sie sah ein Posting in der Schweinefreunde-Facebook-Gruppe, in dem ich schrieb, dass ich Schweine bei mir aufnehmen werde.
Ihr erster Gedanke war, mir ein Schwein aus dem Tierschutz anzubieten. Ich hatte sie nicht darum gebeten, hatte zu diesem Zeitpunkt schon eigene Pläne, die meine Frau und ich umsetzen wollten. Also kontaktiere ich sie und sagte „Nein“ zu einem Schwein. Das ist mir unerhört schwergefallen und weckte wieder den Drachen aus Negernbötel, den ich unbedingt loswerden wollte.

Aber Sandra ließ am Ende nicht locker. Auch sie hat augenscheinlich einen Drachen, den sie bekämpfen und besiegen muss, aber das ist ihre Aufgabe, nicht meine. Also versuchte ich Folgendes: Sandra anzurufen und ihre klarzumachen, warum ich kein Schwein aus dem Tierschutz aufnehmen konnte.
Ich sprach mit ihr an einem Sonntag. Für sie quasi zwischen Tür und Angel. Ihre Eltern waren auf dem Weg. Und ich versuchte in dieser viel zu kurzen Zeit etwas klarzumachen, was mich fast 30 Jahre lang zerfressen hat. Natürlich konnte mir das nicht gelingen.

Und so hinterließ ich nur ein Bruchstück meiner Argumentation, die ich in diese Zeilen quetsche: meine Schweine brauchen einen Ringelschwanz und Schlappohren.

Was dies mit Sandra und mir am Ende anstellen würde und wie unser Verhältnis sich künftig entwickeln würde, war mir nicht bewusst. Ich dachte, ich hätte mich verständlich gemacht, aber dem war nicht so.

Aber immerhin hörte sie auf, mir andere Schweine anzubieten. Und meine Frau und ich suchten weiter nach einem Bauernhof, der uns Schweine mit Ringelschwanz und Schlappohren anbieten würde. Wir fanden ihn letztlich in Xanten am Niederrhein. Und so zogen Freya, Loki und Gandhi bei uns ein.

Das Glücksgefühl, das meine Frau und ich an diesem Tag empfanden, habe ich in ein kurzes Video gequetscht, das ich auf der Facebook-Seite der Schweinefreunde veröffentlichte.

Freigekaufte Schweine? Was für ein Affront! Und statt positiver Kommentare schrieb eine Person aus dem Dunstkreis der Schweinefreunde, dass diese „Aktion vollkommen sinnlos war” und dass hier die „falschen Schweine gerettet worden sind“.

Sandra schrieb darunter „Das sehe ich genauso“. Und während ich die eine Person längst wieder vergessen habe und nicht mehr groß über sie nachdenke, blieb der Kommentar von Sandra bei mir hängen. Und sollte am Ende noch mehrfach ergänzt werden. Den Drachen, der bislang nur klein und katzenhaft durch das Schweinegehege stapfte, zu einem riesigen Ungetüm werden lassen.

Das Tischtuch zwischen mir und Sandra war ab diesem Zeitpunkt zerschnitten. Der Drachen geboren und scheinbar unbesiegbar. Er wurde gefüttert, durch Gespräche hinter vorgehaltener Hand. Und so wurde mir unter anderem vorgehalten, dass wir unsere Schweine ja „Nur beim Züchter geholte hatten“ und dass wir unsere Schweine nach dem „Aussehen“ besorgt hätten.

Neid und Missgunst oder einfach nur Unwissenheit? Schwer zu sagen. Eines war mir aber klar: Das Aussehen-Argument lässt sich 100 % auf das bis heute vertrauliche Gespräch mit Sandra zurückverfolgen. Sie war die erste Person außerhalb meines engsten Kreises, der ich dieses Geheimnis anvertraut habe.

Geheimnis. Etwas, was man nicht weitergibt, oder sonst? Es war meine eigene Schuld, dass ich nicht ausführlich erklärte, warum meine neuen Schweine einen Ringelschwanz benötigten. Warum ich sie freikaufen musste. Warum sie Schlappohren brauchten. Warum es Freya, Loki und Gandhi wurden.

Und so sitze ich heute hier, noch bevor sie wach werden und schreibe es auf. Damit es jeder sehen, lesen und hoffentlich auch verstehen kann. Damit es kein Geheimnis mehr ist. Und damit am Ende der Drachen, der noch vor den drei Kleinen eingezogen ist, endlich wieder ausziehen kann.

Sandra und alle anderen, die es interessiert: meine kaputte Seele, die vor mehr als 25 Jahren in Negernbötel zerbrach, konnte nur mit unversehrten Schweinen geheilt werden. Schweine, die mir die nötige Stärke und Kraft geben, gegen das Unrecht und den Schmerz anzukämpfen, der mir persönlich und auch Euch, in der Nacht den Schlaf raubt.

Über 50 Millionen Schweine in Deutschland. Jahr für Jahr. Milliarden weltweit. Sie alle werden misshandelt. Ihre Rechte mit Füßen getreten. Ihre Schwänze abgeschnitten. In enge Verliese gesteckt.
Meine Schweine mussten unversehrt sein. Ich durfte sie nicht geschenkt bekommen oder sie stehlen, wie ich es damals mit Vincent und Mia gemacht hatte. Sie mussten zudem aus einem Betrieb kommen, der nicht die absolute Hölle wie in Negernbötel war.

Diese Hölle, diesen Drachen konfrontierte ich am Tag, an dem wir die drei Schweine aus Xanten holten. Und ich konfrontiere ihn seitdem jeden Tag. Er wird niemals sterben, solange es leidende Schweine auf diesem Planeten gibt.

Aber seinen Bruder, den Drachen, der im Gehege von Freya, Loki und Gandhi umher stapft und auch meine Gedankenwelt vergiftet. Den möchte ich sehr gerne beerdigen.

Hier und heute. Mit diesem Beitrag. Und ich möchte die wunderschönen Ringelschwänze meiner Schweine endlich wieder ohne ihn anschauen dürfen. Dazu musst Du mir nicht einmal Dein Einverständnis geben, Sandra. Es reicht, diese Zeilen ins Internet zu stellen. Das Geheimnis zu lüften.

Denn dadurch verliert der Drachen oder das Geheimnis seine Macht über mich. Wann immer der Gedanke oder das Thema wieder hochkommt, der Drache sein Feuer spucken möchte, verweise ich auf diesen Artikel.

Meine Schweine mussten unversehrt sein. Einen Ringelschwanz haben. Für mich. Für meine heilende Seele. Wer das egoistisch nennt oder oberflächlich oder sonst ein negatives Adjektiv, dem kann und werde ich ohnehin nicht helfen können. Und deren Meinung interessiert mich nicht.

Allen Schweineschützer:innen sei mit auf den Weg gegeben: Wer diese Zeilen gegen mich benutzt, der zeigt nur seine wahren Intentionen. Mir geht es in meiner Arbeit um alle Schweine in Deutschland und dieser Welt. Ich kann sie nur leisten, wenn ich mit mir selber im Reinen bin und auch meine Bedürfnisse wahrnehme und erfülle. Wer das egoistisch nennt, müsste am Ende seinem eigenen Drachen ins Gesicht sehen und ihn endlich wahrnehmen.

Die drei kleinen Muckels werden nun wach. Und ich werde ihre Ringelschwänze heute besonders wahrnehmen. Zum ersten Mal ohne Drachen.