Es gibt Tage, die wird man nicht vergessen. Tage, an denen Dich Katastrophen aus dem gewohnten Leben reißen. Oder schlicht die Welt verändern.

Der 11. September 2001, als wir die Tragödie rund um das World Trade Center miterlebten, war ein solcher Tag. Der 11. März 2011, als ein Erdbeben vor der Küste von Japan einen Tsunami auslöste und in der Folge die Reaktorkatastrophe von Fukushima die Welt erschütterte, ein anderer.

Für mich persönlich reiht sich der 30.03.2021 nahtlos in diese Aufzählung ein. Ein Großbrand in Europas größter Schweinezuchtanlage in Alt Tellin kostete über 50.000 Schweinen ihr Leben. Unfassbare Szenen haben sich dort abgespielt. Die Feuerwehr war machtlos. Schweine erstickten, verbrannten bei lebendigem Leib. Eingesperrt in hautenge Kastenstände und Mastboxen, die dieses Land und seine Politiker(innen) weiterhin erlauben und akzeptieren. Weil Schweine „zum Essen da sind“.
Ich jedoch, liebe Schweine. Von ganzem Herzen. Mein Lieblingstier? Mein Seelentier? Ganz egal, welcher Begriff, denn sie sind die speziellen Tiere, die mein Herz mit Freude, Kraft, Güte, Liebe und Schönheit erfüllen. Und ich bin in der glücklichen Lage, mein Leben seit letztem Jahr wieder mit 3 dieser tollen Tiere zu teilen. Nicht viele Menschen, die Schweine ebenso lieben, haben diese Chance. Dafür bin ich dankbar.

Aber die Liebe zu Schweinen kommt mit einer kolossalen Bürde:
Zu wissen, das allein in Deutschland über 56 Millionen dieser wundervollen Tiere pro Jahr gequält und ermordet werden. Zu wissen, dass ich diese Seelen niemals retten kann. Zu wissen, dass die Menschen in Deutschland keinen Gedanken daran verschwenden, dass das Schnitzel auf dem Teller Gefühle hatte. Und zu wissen, dass allein im Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück 25.000 dieser wundervollen Wesen Tag für Tag ihr Leben verlieren.

All dies ist schwer zu ertragen. Aus Eigenschutz blendet man diese Fakten für einen Großteil der Zeit aus. Selbst meine Therapeutin riet mir dazu. Aufpassen, dass das Gefühlspendel nicht wieder gänzlich und unkontrolliert ausschlägt. Von absoluter Liebe zu unfassbarer Wut. Auch andere, mir nahestehende Menschen sagen „Du bist nicht dafür verantwortlich“, „Es ist nicht Deine Schuld“.
Doch das schlimme Wissen um all die Grausamkeiten kann ich niemals ganz unterdrücken. Es braucht nur einen kleinen Anlass und die Gedanken werden wieder schwarz und dunkel. Kaum Licht in der Dunkelheit.

Seit Alt Tellin ist für mich erneut alles schwarz. Nicht nur die verbrannten Stallgebäude in Alt Tellin und in ihnen die Tausenden verkohlten Körper. Von Tieren, die ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verdient hatten. Ein Leben voller Liebe und Glückseligkeit, wie unsere 3 Schweine, die wir letztes Jahr vor dem sicheren Tod gerettet haben.
Doch während für mich persönlich und auch andere Tierrechtler die Welt stillsteht und ich den Horror nicht aus dem Kopf bekomme, dreht sich der Rest der Welt weiter. Die meisten Menschen nehmen keine Notiz. Die Verantwortlichen werden weiter machen, wie bisher.

Es wird keine Bundeskanzlerin vor die Presse treten und den Ausstieg aus der Tiernutzung erklären. Es wird keinen Besuch unserer „Tier-Nutz-Ministerin“ Klöckner vor Ort geben. Keine Trauerbeflaggung an öffentlichen Gebäuden. Keine Menschenketten von Alt Tellin bis Berlin zum Kanzleramt. Keine Trauer um die getöteten Schweine.

Doch ein kleiner Hoffnungsschimmer besteht: in unserem Land gibt es eine Vielzahl wundervoller Tierschützer und Tierrechtler. Mehr Vegetarier und Veganer jeden Tag. Einige Tierrechtler waren auch vor Ort und mussten das Grauen aus erster Hand miterleben. Ihnen gebührt mein ausdrücklicher Dank und unermesslicher Respekt. Ihr seid ein Licht in der Dunkelheit. Meine Hochachtung für Euren Mut, diese Hölle vor Ort zu sehen. Mir persönlich reichten Screenshots und kurze Videosequenzen um das eigene Leben fortan nur in einer Dunstglocke voller Trauer zu erleben.

Unser gemeinsames Ziel, unsere Mitmenschen vom Recht der Tiere auf Leben zu überzeugen, ist eine Sisyphusaufgabe. Wir sind umgeben von all dem furchtbaren Elend, welches die Täter als vollkommen gerechtfertigt ansehen. Und welches die restlichen Menschen verdrängen. Unsere Hoffnung ist gering. Aber wir dürfen niemals aufgeben.

Denn das Zeitalter der unfassbaren Tiernutzung muss einfach ein Ende finden. Künftige Generationen werden auf unsere Ära der skrupellosen, industriellen Fleischproduktion mit Abscheu zurückblicken. So wie wir Tierrechtler es heute schon tun. Und vielleicht steht der Ort Alt Tellin künftig als Mahnmal dieses grenzenlosen Wahnsinns auf Kosten der Tiere.

Am Ende bleibt für mich aber die Frage: wenn nicht ich oder andere empathische Tierrechtler und Tierfreunde „Schuld“ an der Katastrophe sind. Wir uns keine Vorwürfe machen sollten. Und all diejenigen, die eigentlich Schuld sind, sich nicht schuldig fühlen und weitermachen. Ist dann am Ende keiner wirklich Schuld? Trauert dann am Ende niemand mehr um die armen Seelen? Wenn wir es auch nicht mehr tun sollten? Gehen wir also alle wieder zur „Tagesordnung“ über? Ich sage „Nein“. Die Trauer für all die verlorenen und geschändeten Seelen ist immens wichtig.

Denn die Schweine in Alt Tellin haben mehr verdient. Jedes Schwein hatte das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Hoffentlich ist Alt Tellin langfristig das Fukushima der Tiernutzung, nicht nur das der „Mega-Ställe“, wie es anderswo geschrieben wurde.

Meine 3 Schweine werden gleich wach, als ich diese Zeilen schreibe. Sie wollen ihr Frühstück bekommen und werden es notfalls lautstark einfordern. Meine Liebe ihnen gegenüber ist ungebrochen.
Aber seit dem 30.03.2021 ist mein schlechtes Gewissen gegenüber all ihren Artgenossen ebenfalls deutlich stärker geworden. Ob ich jemals wieder vollkommen unbeschwert in ihre wundervollen Augen sehen kann? Wissend, dass nicht nur in Alt Tellin, sondern auch anderswo ihre Schwestern und Brüder weiter gequält, geschunden, vergewaltigt und ermordet werden?
Freya, Loki und Gandhi sind sich dessen aber nicht bewusst. Sie nehmen mich, wie ich bin und verurteilen mich nicht wegen der Taten meiner Spezies. Schenken mir ihre Zuneigung und Liebe. Jeden Tag. Weil Schweine wunderbare Tiere sind. Auch die Schweine aus Alt Tellin und anderswo.