Man sagt, Freud und Leid liegen eng bei einander. Für mich war gestern genau so ein Tag. An dem Tag, an dem ich unser Video rund um das erste Jahr mit unseren Schweinen veröffentlicht habe, war ich definitiv glücklich. Glücklich, froh und auch stolz. Diese drei Schweine gerettet zu haben, mit ihnen leben zu dürfen und in der Lage zu sein, ihr Leben mit anderen Menschen zu teilen.

Ein Gegengift zu all den schlimmen Erfahrungen und Nachrichten, die uns rund um das Leid der Schweine und anderer „Nutztiere“ täglich erreichen. Die Katastrophe von Alt Tellin steckt in den Knochen und der Seele. Sie belastet. Und doch war sie für ein paar schöne Minuten in den Hintergrund getreten.

Doch 2 Stunden nach der Veröffentlichung unseres Videos erschien ein Artikel des NDR. Zum Thema Alt Tellin und den Hintergründen. Ich verlinke den Artikel zusammen mit unserem Video am Ende des Beitrages.
Meine Frau las mir den Artikel vor. Als sie zur Passage kam „Keine Katastrophe“, erwachte in mir mein eigener Schatten. Ich war fassungslos, dass Menschen diesen Brand verharmlosen könnten und nicht empathisch für das Leid der Schweine sind. Schließlich vergeht für mich seit dem 30.03.2021 kein Tag, an dem ich nicht über diese, für mich schlimmste Katastrophe, nachdenke.

Ich fluchte und schimpfte. Auf die Reporter, den NDR für die emotionslose Berichterstattung. Aber ganz besonders über den Menschen, der diese Aussage getroffen hatte. Jörg Hasselmann, Dezernent für Kreisentwicklung, Bauen und Umwelt.
Am frühen Nachmittag, noch bevor ich den Artikel des NDR vorgelesen bekam, erreichte uns ein Schreiben des Kreises Vorpommern-Greifswald. Wir hatten als Verein Schweineleben e.V. dem Landrat ein persönliches Fax geschickt, in dem wir unsere Bestürzung rund um die Brandkatastrophe zum Ausdruck brachten. Und wir gingen ebenfalls empathisch auf die Menschen ein, die vor Ort und hautnah all dies miterleben mussten.

Wir denken noch immer so. Für uns ist jedes verbrannte Schwein von Alt Tellin ein verbrannter Freund. Wir leiden im wahrsten Sinne mit ihnen. Aber haben auch Empathie und Mitgefühl für all die Menschen, die das Grauen vor Ort miterleben mussten. Niemand kann nur annähernd nachvollziehen, was dies mit den Menschen angestellt hat. Sie alle werden erhebliche Schwierigkeiten haben, das Erlebte zu verarbeiten.

Das Schreiben des Kreises ging ebenfalls eher empathisch auf diese Frage ein und bestätigte unsere Vermutung. Laut dem Schreiben ist es den Einsatzkräften und Kollegen „an die Nieren gegangen“ und „einige Kollegen bekämen die Bilder des Tages und der Nacht nicht aus dem Kopf“.

Ein Hoffnungsschimmer für uns als Tierfreunde und Tierrechtler. Denn die gefühlte Empathielosigkeit nach diesem grauenvollen Brand wiegt für uns genauso schwer, wie das Leid jedes einzelnen verbrannten Tieres. Sind die Menschen in diesem Land wirklich so abgestumpft, dass verbrannte Schweine ihnen nichts bedeuten? Dies würde einen düsteren Schatten auf unsere Gesellschaft werfen.

Mein eigener Schatten war es, der mich hat fluchen lassen, als meine Frau mir den NDR Bericht vorlas. Meine Verzweiflung darüber, dass ich nicht wirklich etwas tun kann. Ich möchte die Menschen greifen, sie schütteln, sie wachrütteln. Natürlich war es eine Katastrophe, für jedes einzelne Schwein. Für jeden Menschen, der daneben stand. Für so viele Menschen in diesem Land, die das nur aus der Ferne betrachten mussten und trotzdem für immer belastet sein werden.
Statt weiter zu fluchen, möchte ich nun einen offenen Brief schreiben. Empathie statt Wut. Verständnis statt Verbitterung zeigen.

Lieber Jörg,

mein Name ist Jörg. Ich liebe Schweine. Seit meiner Kindheit faszinieren mich diese Tiere. Damit stehe ich zwar nicht allein, aber es ist in unserer Gesellschaft etwas Besonderes. Schweine sind für die meisten Menschen nur zum Essen da. Sie haben keine Rechte, keinen Schutz, sie sollen uns lediglich „Nutzen“.
In den Flammen von Alt Tellin sind für mich 57.000 Freunde verbrannt. Ich bekomme die Bilder nicht mehr aus dem Kopf, obwohl ich vermieden habe, allzu viele Videos anzusehen. Es reichten für mich jeweils Sekunden, denn die Liebe zu diesen Tieren steckt tief in mir, der Schmerz ist unerträglich.

Dein Name ist Jörg. Ich lese gerade, dass Du es nicht für eine Katastrophe hältst. Und habe geflucht, geschimpft und geweint. Ich bin entsetzt über den empathielosen Bericht des NDR. Über das unkritische Übernehmen von Aussagen. Die Schweine und ihr Leiden werden entwertet und mit den Füßen getreten. Die Biogasanlage wurde gerettet, die Schweine schrien, verbrannten und starben. Eine Katastrophe soll das nicht gewesen sein.

Wir beide heißen Jörg. Unsere Entwicklung als Menschen, Personen und Persönlichkeiten macht uns individuell. Wir haben den gleichen Namen, sind aber doch so verschieden.
Statt fluchen und schimpfen möchte ich aber sagen: Ich sehe Dich. Ich verstehe. Warum es für Dich keine Katastrophe sein kann. Warum das Leben der Schweine für Dich weniger wert ist. Warum das Eingestehen etwaiger Fehler verdammt schwierig ist. Doch die Schuldfrage von Alt Tellin soll hier nicht im Raum stehen. Die Schweine von Alt Tellin werden dadurch nicht wieder lebendig.

Ich glaube, dass auch Dir die Schweine nicht egal waren. Dass die Aussage „Keine Katastrophe“ nicht Deinen innersten Gefühlen entspricht oder entsprechen kann. Dass diese Aussage für den NDR und die Öffentlichkeit bestimmt war.
Ich höre auf zu fluchen. Ich verstehe. Und hoffe, dass wir bald in einer Gesellschaft leben, in der man Empathie auch als Behördenvertreter öffentlich äußern kann.

Meine Schweine werden gleich wach. Sie heißen Freya, Loki und Gandhi. Sie feierten vor einer Woche Geburtstag. Vielleicht magst Du Dir anschauen, wie gut es ihnen bei uns geht. Auch wenn Du keine Schweine liebst, könnte es Dich rühren.
Mein Schatten geht nun aber wieder schlafen. Es war wichtig, dass er mir gezeigt hat, wie tief meine Gefühle gehen. Aber Zorn und Wut, das bin ich nicht. Ich entscheide mich für Liebe und Empathie.

Das Schreiben vom Landkreis Vorpommern-Greifswald, dass unser Verein am Tag der Veröffentlichung des NDR Berichtes erhielt, zeigt Empathie und Mitgefühl. Wir haben uns darüber sehr gefreut und sind dankbar.

Es wurde von Jörg Hasselmann unterschrieben. Ich entscheide mich, diesem Jörg Hasselmann zu glauben.

Viele Grüße

Jörg Kipka

Erster Vorsitzender Schweineleben e. V.

Artikel des NDR:

https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Das-grosse-Fragezeichen-Alt-Tellin,alttellin222.html

Ein Jahr mit den Schweinen Freya, Loki und Gandhi:

https://youtu.be/bxJef4bCufc