Das Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger ist vielen Menschen sicherlich bekannt. In einem Kasten steckt eine Katze und eine Mechanik, die das Tier vergiften wird. Doch ohne einen „Beobachter“, der den Kasten öffnet, befindet sich die Katze in einem undefinierten Zustand – sie ist gleichzeitig lebendig und tot.

Die deutsche Gesellschaft spielt seit Jahrzehnten dieses Experiment mit den Schweinen und anderen Nutztieren. Wir haben schon vor vielen Jahren angefangen, alle Auswirkungen der Quälerei, des Ausnutzens und des Tötens von Tieren in Kästen zu sperren. Kästen, die eine Beobachtung ausschließen. Hermetisch abgeriegelte Höfe, Tiertransporte und Schlachthöfe.

In diesen Kästen entlang der Autobahnen oder ganz abgeschieden von der Welt, gibt es keine Beobachter. Jedenfalls keine, denen der Zustand der Tiere, ihr Wohlbefinden und ihr Leben etwas bedeutet. Wenn das Leid und der Schmerz nicht gesehen wird – ist es dann passiert?

Im August wurde einer dieser abgeschiedenen Kästen im Landkreis Cloppenburg offensichtlich durch Beobachter geöffnet, denen der Zustand der Tiere vielleicht doch wichtig gewesen wäre. In diesem seit Jahren verlassenen Stall wurden 250 mumifizierte Schweine gefunden. Das Veterinäramt wurde eingeschaltet und nicht etwas selber tätig.
Der Bauer hat in diesem Fall sein eigenes Experiment durchgeführt: wie lange wird es wohl dauern, bis meine Schweine verdursten? Und wie lange wird es dauern, bis sich irgendwer dafür interessiert oder es auffällt? Werde ich dafür überhaupt zur Rechenschaft gezogen?

Inzwischen wurde ein weiterer seiner ehemaligen Ställe geöffnet, in dem nochmals 600 mumifizierte Schweine gefunden wurden. Der Landkreis und die zuständigen Behörden flüchten sich derweil in die zweifelhafte Entschuldigung, dass eine Kontrolle aller Betriebe im Landkreis unmöglich ist. Auch und gerade von Betrieben, die ihre Tierhaltung abmelden.

Es ist gibt dafür eine einfache Rechnung: Der Landkreis Cloppenburg und viele andere in Deutschland sind nicht ohne Grund Hochburgen der Massentierhaltungen. Sie locken Betriebe mit ihrer Abgeschiedenheit von großen Ballungsräumen und Nachbarn, die sich gegen den Aufbau von massiven Tierhaltungen stemmen könnten. Und weil diese Landkreise ein wirtschaftliches Interesse an der Ansiedlung dieser Betriebe haben, werden Kontrollen mangels Personal der eigentlich verantwortlichen Behörden nur alle 30 Jahre durchgeführt.

Alle Menschen, die in diesem widerwärtigen Wirtschaftskreislauf unseres zivilisierten Landes arbeiten, haben keinerlei Interesse am tatsächlichen Beobachten der Zustände. Sie sehen die Tiere in dem „Kasten“, aber da Schweine und andere Nutztiere anders als Katzen keine emotionale Reaktion hinsichtlich des Zustandes „lebendig“ oder „tot“ hervorrufen, findet eine Beobachtung und Wahrnehmung bewusst nicht statt.

Die 850 Schweine dieses Landwirtes sind wahrscheinlich auf eine der widerlichsten Art und Weisen ermordet worden, die man sich vorstellen kann: verdurstet, weil kein Wasser mehr aus den Tränken kam. Und die Schreie, die Verzweiflung und den Todeskampf jedes einzelnen dieser intelligenten und hochemotionalen Tiere hat niemand beobachtet. Wir können nur den Endzustand – die Mumifizierung sehen. Und das Veterinäramt zählt lediglich die Köpfe der Tiere.

Was in diesen Köpfen vorging. Wie sehr sie gelitten haben. Wie lange der Todeskampf dauerte. All das interessiert weder das Veterinäramt, noch den Landkreis Cloppenburg und ähnliche Hochburgen der Massentierhaltung. Nicht die Polizei und auch nicht die Staatsanwaltschaft oder die Politik oder den Bauernverband, der überall kräftig mitmischt.

Denn sie alle machen mit beim größten Realexperiment, welches Schrödingers Gedankenexperiment – das er nie in die Tat umsetzte – an Grausamkeit in den Schatten stellt: mit welchen Gräueltaten an Schweinen und anderen „Nutztieren“ können wir durchkommen? In einer Gesellschaft, die das Schlagen von einem Pferd bei den olympischen Spielen in Aufruhr versetzt. Die aber bei 57.000 verbrannten Schweinen in Alt Tellin und 850 verdursteten Schweinen in Cloppenburg nur mit den Schultern zuckt.

Am Sonntag, den 26.09.2021 findet ein weiteres Experiment in diesem Kontext statt: wird die Bundesrepublik Deutschland weiter von Parteien regiert, denen nicht nur die Schweine, sondern am Ende alle Tiere egal sind? Auch hier ist wieder ein Kasten involviert. Der Kasten, in dem Du Deinen Wahlzettel einwirfst.

Vielleicht ist Dir nicht nur das Leben der Katze in Schrödingers Experiment wichtig. Sondern auch das der Schweine. Sei ein echter Beobachter und öffne die Augen. Für das Leid der Schweine und der vielen anderen Nutztiere in diesem Land. Damit das Realexperiment bald der Vergangenheit angehört.

Der Landwirt aus Cloppenburg wurde von den Behörden im übrigen lediglich „angeschrieben“. Nicht etwa zum Verhör abgeholt. Und es ist dem Landkreis wichtiger, dass er die Kadaver entsorgen lässt. Nicht die Erklärung, was sich zugetragen hat. Warum? Damit auch dieser Kasten bald wieder schön verschlossen und vergessen ist.