Teil 1 – ein sonniger Tag im März 2021

Etwa im Frühling des Jahres 2018 erblickten Helga und Gundel das Licht der Welt. Geboren in einem abgeschotteten Gebäude aus Stahl und Beton, erhellt nur durch das künstliche Licht der Deckenleuchten. Es riecht fürchterlich. Statt in einem selbstgebauten Nest aus Ästen, Laub und anderen natürlichen Materialien, liegt ihre Mutter auf Gitterboden und eingezwängt in einem Kastenstand, den wir Tierschützer:innen und Tierrechtler:innen „eiserne Jungfrau“ nennen.

Ihre Mutter kann sich nicht bewegen und sich um die kleinen, neuen Erdenbürger kümmern. Und bereits nach wenigen Tagen werden Helga und Gundel ihrer Mutter entrissen. Zusammen mit anderen kleinen Schweinen stehen sie gemeinsam in einer weiteren, engen Bucht. Während ihre Brüder und einige Schwestern nach nur 6 Monaten als kleine Schweinekinder bereits im Schlachthof ermordet würden, hatten Gundel und Helga das „Glück“ zur Zucht ausgewählt zu werden.

Und so wurden sie zusammen mit anderen Schweinedamen in andere Bereiche der großen Anlage gebracht, wo sie künstlich geschwängert wurden und fortan das gleiche Schicksal erleiden mussten, wie damals ihre Mutter. Genutzt ohne Skrupel, geschunden und gequält.

Diese Anlage, in der Helga und Gundel als Gebärmaschinen ihr Leben lang missbraucht wurden, stand in Alt Tellin, Mecklenburg-Vorpommern. Gebaut von geldgierigen Agrarbossen, genehmigt von unmoralischen Behörden, gefördert durch korrupte Politiker und gedeckt durch eine Justiz, für die ein Schweineleben keinen Wert besitzt.
All diesen Menschen bedeutet das Leben, das Leiden und der Tod der Schweine nichts. Auch nicht das von Helga und Gundel. Denn sie haben nur Nummern, keine Namen. Sind nur zu unserem „Nutzen“ auf der Welt.

Der jahrelange Kampf gegen den Aufbau und dann Weiterbetrieb der größten Schweinezuchtanlage in ganz Europa durch Tierschützer:innen und Anwohner:innen bleibt zum größten Teil erfolglos. Und wird von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Gesellschaft nicht einmal wahrgenommen. Die Schweinezuchtanlage Alt Tellin – mitten im gefühlten Nirgendwo – darf trotz vieler Beschwerden und Vorfällen ungehindert weiterbetrieben werden. Viele Jahre lang.

Am 30.03.2021 passiert das, was nach Aussagen der Betreiberfirma LFD Holding „unmöglich“ war. Ein Brand bricht aus und die gesamte Anlage geht an diesem Tag in Flammen auf. Die Rauchwolke war viele Kilometer weit zu sehen. Geschätzte 57.000 Schweine verbrennen oder ersticken.

Nur etwa 1500 Schweine wurden von der Feuerwehr aus einem der Ställe geführt. Unter ihnen waren auch Helga und Gundel. An diesem verheerenden Tag sahen sie zum allerersten Male den blauen Himmel und die Sonne. Konnten Gras unter ihren Füßen spüren. Instinktiv waren sie in der Lage, ihr normales Verhalten zu zeigen. Wäre nicht der Gestank und die Schreie der sterbenden Artgenossen zu riechen und zu hören, könnte man es einen Glücksfall nennen. Nur wenigen Schweinen in diesem Land ist es überhaupt vergönnt, einmal auf einer Wiese zu stehen.

Doch es dauerte natürlich nicht lange, bis die Menschen anfingen, die überlebenden Tiere dieses schlimmsten Großbrandes in der Geschichte der europäischen Schweinehaltung, zusammenzutreiben und auf herangeeilte Tiertransporter zu verteilen. Helga und Gundel wurden abtransportiert. Ziel ungewiss.

Kaum ein Mensch hat sich seither für das Schicksal der überlebenden Schweine von Alt Tellin interessiert. Wir aber taten es und erzählen im zweiten Teil, was wir erfuhren, welche Schritte wir in die Wege leiteten und welche Erfahrungen wir sammelten. Um ein Zeichen zu setzen und mindestens zwei Schweinen dieser Hölle eine zweite Chance zu geben. Wir nannten sie Helga und Gundel.