8 Monate nach der Katastrophe

Die schrecklichen Bilder des 30.03.2021 lassen uns bis heute nicht los. Der ungeheuerliche Wahnsinn, der die gesamte Geschichte rund um die Schweinezucht von Alt Tellin prägt, ist kaum in Worte zu fassen. Geldgier, Korruption, unfähige und unwillige Behörden, ein untätiges Verwaltungsgericht und viele, viele Politiker tragen die Schuld an der größten Katastrophe, die es in der europäischen Schweinehaltung jemals gegeben hat.

Dennoch blieb das Medienecho aus. Ein Fukushima der Tierindustrie sollte Alt Tellin werden. Aber dazu ist es nicht gekommen. Selbst wenn eine Debatte darüber entstanden ist, solche Megaställe nicht mehr zu genehmigen. Am Ende sind kleinere Ställe mit 1000 Tieren genauso mörderisch und die Tiere meist unrettbar verloren, sollte ein Brand ausbrechen. Fukushima führte in Deutschland zum Ende der Nutzung der Atomenergie. Alt Tellin führte jedoch nicht zum gleichen Ergebnis.

Der Brand im Krefelder Zoo und der Brand in Alt Tellin nur wenige Monate später zeigen zudem, dass unsere Gesellschaft zutiefst heuchlerisch mit dem Verlust von Tierleben umgeht. Die Nation weinte um die (eingesperrten und genutzten) Affen von Krefeld. Aber die vielen Tausend Schweine von Alt Tellin waren eben nur das: Schweine! Tiere, die nur für unseren endgültigen „Nutzen“ gedacht sind.

In Alt Tellin sind die falschen Tiere verbrannt, so ein Kommentar unter einem unserer Artikel zum Schicksal der Schweine. Gegen diesen Eindruck kann man sich auch 8 Monate nach der Katastrophe nicht wehren.

Als wir die Aufnahmen des Brandes sahen, waren wir daher nicht nur im Geiste bei den verlorenen Seelen der verbrennenden Schweine. Wir sahen in jedem der Schweine, das auf der umliegenden Grünfläche des brennenden Infernos zum ersten Male Gras essen durfte, im lockeren Boden wühlen konnte und ein kühlendes Schlammbad genießen konnte, ein wertvolles Leben. Eine Persönlichkeit mit Gefühlen und Bedürfnissen. Und ein Opfer der brutalen Tierindustrie, die sie nur als Ware behandeln.

Doch für diese Opfer gab es keinen „Weißen Ring“, keine „Geberkonferenz“, kein Ruf nach Gerechtigkeit und Rettung oder Entschädigung. Die Tierschützer:innen und Tierrechtler:innen vor Ort konnten nur mitansehen, wie die Tiere unter Polizeischutz abtransportiert wurden. Täterschutz statt Opferschutz von der Institution unserer Gesellschaft, die eigentlich die Rechte der Schwachen schützen sollte.

Aber für Schweine und andere Nutztiere gelten in diesem Land andere Regeln. Sie auszubeuten und aufzuessen ist ein „vernünftiger Grund“ laut dem heuchlerischen Tierschutzgesetz dieses Landes. Und so schützen die Verwaltungsbehörden, die Polizei und die Gerichte dieses Landes die Mehrheit der Menschen in der Täterrepublik Deutschland. Die 90 % der Menschen, die weiterhin darauf bestehen, andere Spezies zu ihrem eigenen Nutzen auszubeuten und aufzuessen.

Helga und Gundel sind wahrscheinlich tot. Unsere verzweifelten Bemühungen, wenigstens zwei der namenlosen Opfer von Alt Tellin zu retten, sind bis heute, 8 Monate nach der Katastrophe, fehlgeschlagen. Eine Antwort, ob die überlebenden Schweine von Alt Tellin noch am Leben sind, wird es aller Voraussicht nach nicht geben.

Für uns war es wichtig, alles zu versuchen, um nicht nur eine Gedenkstätte für die Katastrophe zu errichten, sondern auch aktiv Leben zu retten. Helga und Gundel sowie die anderen ca. 1500 Schweine hätten eine Rettung verdient gehabt. So wie jedes andere „Nutztier“, das in den Ställen und Schlachthöfen in diesem Land ausgebeutet und ermordet wird.

Warum ausgerechnet diese Schweine retten, wenn jeden Tag 160.000 Schweine in Deutschland hingerichtet werden? Weil jedes Leben zählt. Und die Erinnerung an das vermeintliche Fukushima der deutschen Tierindustrie schon jetzt in Vergessenheit gerät. Ein Interesse an der Berichterstattung zum Thema Alt Tellin oder Stallbrände ist längst nicht mehr vorhanden. Die zuständige Staatsanwaltschaft spielt weiter auf Zeit. Die Brandursache ist ungeklärt und der Landwirtschaftsminister Backhaus und seine Ministerpräsidentin, Frau Schwesig, wiedergewählt.

Sie alle haben nie von Helga und Gundel gehört. Ihr Schicksal war ihnen schon am Tag des Brandes und in den Jahren zuvor vollkommen gleichgültig. So wie den meisten Menschen in diesem Land, die in Schweinen nur ihr Mittagessen auf vier Beinen sehen.

Während unseres Kampfes für das Leben der beiden Schweine haben wir die Hilfe vieler Menschen gesucht. Wir suchten Verbündete auf allen Seiten, auch bei Menschen, die wir als Teile des Problems und Täter einstufen würden. Weil wir uns erhofften, dass die Katastrophe von Alt Tellin Augen öffnet für das Leiden der Schweine und anderer, sogenannter „Nutztiere“. Weil in unseren Augen alles daran gesetzt werden musste, dass dieser Tag nicht vergessen wird. Und am Ende, weil die Leben von Gundel und Helga unendlich wertvoll waren. Für sie selber und für uns, die wir für das Lebensrecht der Schweine eintreten.

Wir hätten uns eine konzertierte Aktion aller Lebenshöfe in Deutschland gewünscht. Eine Verteilung aller überlebender Schweine dieses grausamen Tages auf Höfe von Menschen, die schon heute die Rechte der Tiere schützen und verteidigen. Eine Menschenkette von Alt Tellin bis Berlin. Und eine Anklage und Verurteilung aller beteiligten Menschen, die für diese Katastrophe verantwortlich sind.

Stattdessen warten wir noch heute auf die Klärung der Brandursache. Weil eine Klärung angeblich sehr kompliziert wäre. Aber die einfache Antwort lautet: Es waren nur Schweine.
Schweine wie Helga und Gundel, die in Drebkau, nahe Cottbus, durch die LFD weiter gequält wurden. Und inzwischen wahrscheinlich auch nicht mehr leben.

Wir zünden heute, genau 8 Monate nach dem Brand, Kerzen im Gedenken an die Schweine von Alt Tellin an. Nicht nur für „unsere“ Helga und Gundel. Ruhet in Frieden. Ihr hattet nie eine Chance. Wir werden Euch aber niemals vergessen. Versprochen.